DRA | Deutsches Rundfunkarchiv Rechtsfähige Stiftung Frankfurt am Main - Babelsberg |
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Die digitalisierten Sendemanuskripte
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1998 entschloß sich das Deutsche Rundfunkarchiv als Maßnahme
der Bestandssicherung, die in ihrer Erhaltung gefährdeten Sendemanuskripte des
DDR-Politmagazins Der schwarze Kanal (1960-1989) zu digitalisieren und
sie im Rahmen der Verteilten Digitalen Forschungsbibliothek über das
Internet einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dieses Vorhaben wurde von
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell gefördert. Die Präsentation der
Sendemanuskripte wird durch Hinweise auf Quellen und Literatur sowie die
Einbindung von Audio- und Videomaterial aus den Beständen des DRA ergänzt.
Sowohl die schriftlichen Sendeunterlagen zur Magazinreihe Der
schwarze Kanal des Fernsehens der DDR als auch die im Bewegtbild erhalten
gebliebenen Sendungen selbst sind im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) am Standort
Berlin archiviert. Das DRA ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts, die von den
Rundfunkanstalten der ARD getragen wird. Es wurde 1952 als Lautarchiv des
deutschen Rundfunks gegründet, um ein zentrales Schallarchiv für die
Rundfunkanstalten zu schaffen. Der Aufgabenbereich wurde schon bald um die
Dokumentation von Fernsehproduktionen erweitert. 1963 wurde es in Deutsches
Rundfunkarchiv umbenannt. Als Gemeinschaftseinrichtung der ARD sammelt,
archiviert, erschließt und dokumentiert das Deutsche Rundfunkarchiv Ton-, Bild-
und Schriftdokumente, die sowohl programmlichen Zwecken der Rundfunkanstalten
selbst als auch Wissenschaft, Forschung und Lehre dienen. Der Standort
Berlin-Adlershof, an dem sich die Archivbestände des Fernsehens und des
Hörfunks der DDR befinden, wurde dem DRA auf Beschluß der ARD zum 1. Januar
1994 angegliedert. Hier existieren folgende Fachabteilungen:
Fernseharchiv |
100 000
Sendungen |
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60 000
Sujets |
Schallarchive |
300 000
Musiktonträger insgesamt |
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100 000
Wort-Tonträger |
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36 000
Einzelgeräusche |
Historisches
Archiv |
6 600 lfm
Schriftgut |
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5 Mill.
Presseausschnitte |
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3 Mill.
Fotografien |
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Ein wichtiger Bestandteil des Historischen Archivs des
Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) am Standort Berlin sind die überlieferten
Sendemanuskripte der Sendereihe Der schwarze Kanal. Der schwarze
Kanal wurde im Fernsehen der DDR wöchentlich von März 1960 bis Oktober 1989
insgesamt 1519 Mal ausgestrahlt. Die als Magazin angelegte Sendung war als
polemische Konterpropaganda konzipiert und sollte die Verlogenheit der
westlichen Politk am Beispiel des westdeutschen Fernsehens entlarven. (Anm.:
Das Magazin ist eine Sendeform, die mehrere Einzelbeiträge zu einer
Gesamtsendung zusammenfaßt, die periodisch zu festen Sendezeiten mit immer
gleichem Titel läuft. Die Einzelbeiträge werden durch einen Moderator
eingeleitet, kommentiert und zueinander in Beziehung gesetzt.) Während die
Sendung ursprünglich zur ideologischen Beeinflussung der BRD-Bürger in das
Programm aufgenommen worden war, zielte sie schon bald im Zuge der
Abrenzungspolitik der DDR, auf die eigene Bevölkerung, um die unerwünschten
Einflüsse des Fernsehens der Bundesrepublik zurückzudrängen. Mit dem Sendetitel
Schwarzer Kanal war auch das Westfernsehen gemeint, durch das sich der 'Schmutz
und Unrat, der eigentlich auf die Rieselfelder fließen müßte', so
Moderator von Schnitzler, in die Wohnungen der Zuschauer ergoß. Karl-Eduard von
Schnitzler, der die Sendung durch Redaktion und Moderation als Chefkommentator
des DDR-Fernsehens maßgeblich prägte, wollte hier 'gewissermaßen als
Kläranlage dienen'.
Das Konzept der Sendereihe bestand darin, Ausschnitte aus
westdeutschen Fernsehsendungen zu zeigen und diese anschließend zu
Agitationszwecken im Sinne der DDR-Einheitspartei, SED, auszulegen. Die Art der
Kommentierung und die tendenziöse Auswahl der Bildbeiträge waren von Anfang an
sehr umstritten, da die Zitate aus dem Zusammenhang gelöst, oftmals
sinnverändernd wirkten. Die Idee zu dieser Sendeform wurde von der in der
Bundesrepublik ausgestrahlten Reihe Die rote Optik übernommen, in der
sich Thilo Koch mit der DDR-Fernsehpropaganda auseinandersetzte. Im Schwarzen
Kanal wurden neben den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF vor allem
Ausschnitte aus Sendungen mit politischem oder zeitkritischem Hintergrund wie Der
internationale Frühschoppen, Monitor, Report, Panorama, Kontraste, Kennzeichen
D, Aspekte, Auslandsjournal oder Weltspiegel verwendet. Mitunter
griff man aber auch auf Sendungen wie das Gesundheitsmagazin oder Das
aktuelle Sportstudio zurück. Außerdem wurden westliche Presseerzeugnisse
wie z. B. Die Welt, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel,
Das Parlament, TV hören und sehen und Funkuhr ausgewertet.
Die Sendung Der schwarze Kanal begann montags zwischen
21.30 Uhr und 21.50 Uhr im Anschluß an den in Ost und West beliebten
'Montagsfilm' des Deutschen Fernsehfunks. Dieser Zeitpunkt war von den
Verantwortlichen des Fernsehens der DDR bewußt in der Hoffnung gewählt worden,
daß die Zuschauer des 'alten Films' auch gleich noch Karl-Eduard von
Schnitzlers Propagandasendung mitsahen. In den 60er und 70er Jahren hatte die
Sendung aufgrund des beschränkten Programmangebotes der deutschen Fernsehsender
einen relativ hohen Zuschaueranteil. Ab Mitte der 70er und in den 80er Jahren
sank mit der Beendigung des Kalten Krieges auch die Bedeutung des Schwarzen
Kanals. Der Zuschaueranteil betrug bis zum Ende der Sendereihe, 1989, im
Durchschnitt 5 Prozent. Die Sehbeteiligung wurde durch eine wöchentliche
Befragung von 1000 repräsentativen DDR-Haushalten anhand eines Fragebogens
ermittelt. Die Befragten vergaben auch Noten für die Qualität der jeweiligen
Sendung. Die Ergebnisse dieser statistischen Erhebungen wurden bis 1989 nicht
veröffentlicht.
Unter dem Eindruck der Oktoberereignisse 1989 in der DDR und
'...um den politischen Neuanfang nicht zu gefährden' zog
Karl-Eduard von Schnitzler die Sendung Der schwarze Kanal aus dem
Programm des DDR-Fernsehens zurück. Die letzte Sendung wurde am 30. Oktober
ausgestrahlt und dauerte knapp fünf Minuten.
Damit ging eine Sendereihe zu Ende, die in Form von politischer
Berichterstattung und politischer Kommentare bundesrepublikanische bzw.
insgesamt westliche Verhältnisse aus Sicht der DDR deutete. Als politisches
Magazin war Der schwarze Kanal selbst Medium der Politik, von Agitation und
Propaganda.
Unter der Perspektive der Interpretation jüngster deutscher Geschichte ist das
vorliegende Quellenmaterial der von Karl-Eduard von Schnitzler verantworteten
Sendung ein sicherlich extremes, aber damit auch besonders prägnantes Beispiel,
das einmal mehr deutlich macht, wie sehr jüngste deutsche Rundfunkgeschichte im
besonderen und jüngste deutsche Geschichte im allgemeinen verstanden werden
will aus der Bezogenheit von Bundesrepublik und DDR aufeinander.
Stand der
Realisierung: September 2000
© Deutsches Rundfunkarchiv
Marlene-Dietrich-Allee 20
14482 Potsdam-Babelsberg
Autor: Andreas Grape
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